Dies ist der zweite und abschließende Teil eines zweiteiligen Beitrags zum Thema Usability. Im ersten Teil wurde eine allgemeine Definition vorgestellt und die ersten vier der zehn Usability Heuristiken nach Jakob Nielsen präsentiert. Hier folgen nun die verbleibenden sechs.
Inhaltsverzeichnis
- 5 – Fehlervermeidung (Error prevention)
- 6 – Wiedererkennen statt Erinnern (Recognition rather than Recall)
- 7 – Flexibilität und Effizienz beim Gebrauch (Flexibility and efficiency of use)
- 8 – Ästhetisches und minimalistisches Design (Aesthetic and minimalist design)
- 9 – Hilfestellung beim Erkennen, Beurteilen und Beheben von Fehlern (Help Users recognize, diagnose and recover from errors)
- 10 – Hilfe und Dokumentation (Help and documentation)
5 – Fehlervermeidung (Error prevention)
Fehlermeldungen – wir alle kennen sie, wir alle lieben sie. Nicht!
Die beste Fehlerbehandlung ist es, einen Fehler erst gar nicht passieren zu lassen. Gutes Design vermeidet fehleranfällige Situationen, oder weist die Anwender bereits im Vorfeld darauf hin.
Angenommen, du forderst deine Benutzer zur Eingabe eines Datums auf. Falls dies per Tastatur erfolgen soll, wäre dies schon die erste potentielle Fehlerquelle: Abgesehen davon, dass per Tastatur jede Eingabe möglich ist, können die Menschen zum Beispiel nicht wissen, welches Datumsformat du von ihnen erwartest. Die nächste Fehlerquelle liegt in der Frage der Plausibilität. Da es etwa keinen 30. Februar gibt, ist es nicht sinnvoll, ihn überhaupt zuzulassen.
Für Eingaben mit fix vorgegebenem Gültigkeitsbereich sollten also auf eine Weise erfolgen, die solche inhaltlichen Fehler erst gar nicht zulassen. Für ein Datum würde sich zum Beispiel eine Kalender-Auswahl anbieten.
Manche Fehler ergeben sich aber auch durch Fehlinterpretationen oder falsche Erwartungen an das System – wenn etwa bestimmte Symbole nicht oder nicht richtig verstanden werden. Doch schon die Beachtung der ersten vier Heuristiken kann viel davon verhindern. Beispielsweise verringert das Einhalten von Standards (Heuristik Nummer 4) die Gefahr, dass etwas falsch interpretiert wird.
Ehrlicherweise muss natürlich gesagt werden, dass es nie ganz ohne Fehlermeldungen gehen wird. Ihr Gebrauch sollte aber möglichst schon im Vorfeld verhindert werden.
An dieser Stelle sei auch auf die Heuristik Nummer 9 verwiesen, die sich dieser Thematik annimmt.
6 – Wiedererkennen statt Erinnern (Recognition rather than Recall)
Zum Teil erweitert dieser Punkt die Heuristiken Nummer 2 und 4. Elemente aus der wirklichen Welt (wie z. B. das Einkaufswagen-Icon) oder bestimmte Standards, die in einer Benutzeroberfläche konsequent durchgezogen werden, helfen bei der Bedienung eines Systems. Statt lange nachzudenken, was bestimmte Bezeichnungen oder Symbole bedeuten, werden sie einfach (wieder)erkannt und richtig interpretiert.
Allerdings geht diese Heuristik noch einen Schritt weiter und trägt dem Umstand Rechnung, dass das menschliche Kurzzeitgedächtnis nur begrenzt leistungsfähig ist. So kann es bei mehrstufigen Vorgängen sinnvoll sein, Vorschläge anzubieten, wie der jeweils nächste Schritt aussehen könnte. Das unterstützt einerseits neue Benutzer, hilft aber auch jenen auf die Sprünge, die das System früher schon einmal benutzt haben.
Andere Beispiele finden wir abermals im Bereich der Online-Shops: Gut sichtbare Listen von zuletzt betrachteten Artikeln verhindern, dass Käufer ein und dieselbe Ware immer wieder betrachten. Oder, schlimmer noch, doppelt in den Einkaufswagen legen.
7 – Flexibilität und Effizienz beim Gebrauch (Flexibility and efficiency of use)
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Was sich einmal bewährt hat, wird gerne auch ein zweites Mal genutzt. Systeme, bei denen verschiedene Wege zum Erfolg führen, können dem Rechnung tragen, indem sie sich individuell konfigurieren lassen. Gerade bei Abläufen, die sich immer wiederholen, lässt sich dadurch die Effizienz steigern.
Denk ans Online-Banking. Es gibt Rechnungen, die in periodischen Abständen immer wieder zu bezahlen sind. Gleichzeitig kann es aber sein, dass du aus verschiedenen Gründen keinen Abbuchungsauftrag erteilen möchtest. Statt nun zum Beispiel monatlich stets die gleichen Daten aufs Neue einzugeben, speicherst du dir eine Vorlage und bezahlst mit nur wenigen Mausklicks.
Ein anderes Beispiel zu diesem Thema sind Shortcuts. Wer etwa ein Office-Produkt erst kennenlernen muss, wird sich vermutlich die einzelnen Menüpunkte ansehen, um zu entscheiden, welche Funktionen wirklich nötig sind. Mit etwas Erfahrung kommen jedoch allmählich verschiedene Tastaturkürzel, wie z. B. der Klassiker Strg-C und Strg-V zum Kopieren und Einfügen, zum Einsatz.
Kurz gesagt: Auch wenn ein System die Unerfahrenen auf jede erdenkliche Weise unterstützen muss, sollte es dennoch den Erfahrenen ihre Abkürzungen erlauben.
8 – Ästhetisches und minimalistisches Design (Aesthetic and minimalist design)
Weniger ist mehr.
Erinnerst du dich an die Zeit kurz vor der Jahrtausendwende? Unzählige Suchmaschinen ritterten um die Gunst der Internet-Community. Sie alle hatten drei Dinge gemeinsam: Werbung, Werbung und Werbung. Bunte und aufdringliche Angebote belegten jeden Quadratzentimeter des Browser-Fensters. Und irgendwo, fast schon schüchtern versteckt, befand sich das Eingabefeld für die Suche – fast schon als wäre es nur lästiges Beiwerk für die Reklame.
Google vollzog schließlich einen – aus damaliger Sicht mutigen – Schwenk und verbannte dieses Kaleidoskop aus Farben, Versprechen und Belästigung aus der Suchmaske. Die geplagten Augen der Menschen sahen nun nur noch ein Eingabefeld und die (stumme) Aufforderung, den Begriff einzugeben, nach dem sie suchen wollten.
Viele der damaligen Suchmaschinen sind inzwischen verschwunden, während Google zum Synonym für die Internetsuche wurde.
Was lernen wir daraus? Gib deinen Usern das, was sie brauchen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.
(Dass Werbung immer noch ein wesentliches Geschäftsmodell von Google ist, soll an dieser Stelle keineswegs bestritten werden. Doch indem der Konzern die Reklame in die Suchergebnisse verlagerte, wurden die Menschen nicht mehr nach dem Gießkannenprinzip „beglückt“. Stattdessen bekamen sie Inserate zu sehen, die – vielleicht –tatsächlich nützlich waren. Das kann letztlich auch als Aspekt von Usability gesehen werden.)
9 – Hilfestellung beim Erkennen, Beurteilen und Beheben von Fehlern (Help Users recognize, diagnose and recover from errors)
Diese Heuristik ist mit Nummer 5 verwandt und erweitert sie. Heuristik 5 sagte uns, dass Fehler schon im Vorfeld vermieden werden sollten. Doch einerseits ist das nicht immer möglich, und andererseits kann kein Entwickler die Kreativität vorhersehen, die manche Benutzer bei der Bedienung eines Systems an den Tag legen.
Wenn also die Vermeidung von Fehlern schon nicht möglich ist, müssen sie klar gekennzeichnet sein.
Nehmen wir zum Beispiel ein Eingabefeld für eine Kreditkartennummer. Diese hat, abhängig vom Anbieter, normalerweise zwölf bis sechzehn Stellen, wobei am Ende eine Prüfziffer steht. Die Prüfziffer ist ein Wert, der sich nach bestimmten Vorgaben aus den anderen Teilen der Nummer errechnet, um zum Beispiel Tippfehler erkennen zu können.
Besteht nun eine Eingabe aus nur fünf Zahlen, kann davon ausgegangen werden, dass sie ungültig ist. Auch bei einer falschen Prüfziffer wäre das der Fall. Bei Heuristik Nummer 5 wurde bereits beschrieben, dass eine später aufpoppende Meldung nicht unbedingt der optimale Weg ist, so einen diesen Fehler zu behandeln. Stattdessen sollte das Eingabefeld selbst gekennzeichnet werden. Zusätzlich würde ein eingeblendeter Text nähere Informationen liefern, zum Beispiel: »Die eingegebene Nummer ist zu kurz. Kreditkartennummern haben mindestens 14 Stellen.« Dies bietet die optimale Unterstützung beim Erkennen und Korrigieren des Fehlers.
10 – Hilfe und Dokumentation (Help and documentation)
Seien wir ehrlich: Keiner liest gerne Dokumentationen. Und wie oft haben wir schon auf F1 gedrückt, um einen Blick in die Hilfe zu werfen?
Überhaupt: Sollte gute Usability es nicht überflüssig machen, Dokumentationen zu erstellen? Sollte das Design eines Systems nicht so intuitiv sein, dass jeder Mensch fast von alleine versteht, wie es zu verwenden ist?
Ja, in einer perfekten Welt schon.
Aber in einer perfekten Welt müssen wir etwa auch keine Notbremse in unsere Eisenbahnen einbauen. Wir wollen sie zwar niemals benutzten müssen, aber wenn es tatsächlich nötig sein sollte, sind wir froh, dass sie da ist.
Mit Dokumentationen und Hilfesystemen verhält es sich ähnlich. Sie sollen helfen, wenn alle anderen Stricke reißen. Im Geiste guter Usability sollten sie sich kurz und knapp halten und Schritt-für-Schritt-Anleitungen zum Lösen bestimmter Aufgaben anbieten. Wenn bestimmte immer wieder auftretende Fragen und Probleme bereits bekannt sind, spricht auch nichts dagegen, einen FAQ-Block zu integrieren.
Dieser kann schließlich auch die Basis für eine Nachfolge-Version des aktuellen Systems sein, das durch eine verbesserte Usability glänzt. Denn gute Usability ist ja das Ziel, das wir alle anstreben.
Usability is King – Usability Heuristiken (Teil 1)
Autor: Günter Gerstbrein, Jahrgang 1977, studierte technische Mathematik an der TU Wien und war etwa 13 Jahre in der Software-Entwicklung tätig. Als „Texter, der aus der Technik kam“ ist es sein Ziel, komplizierte Sachverhalte leicht verständlich und ohne viel Techno-Babble zu vermitteln. Gerstbrein textet